Stellungnahme 5. November 2020

Stellungnahme zum Referentenentwurf zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes

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Die Befristung der §§ 60a ff UrhG ist spätestens mit der Verabschiedung der DSM-Richtlinie inadäquat geworden: Diese enthält in ihren vorwiegend zwingend umzusetzenden Art. 3, 5 und 6 Bestimmungen, die die im UrhWissG behandelten Gegenstände direkt betreffen und auch Änderungen der §§ 60a ff erforderlich machen.

Auch die Schranke des Art. 8 Abs. 2 der DSM-Richtlinie zu vergriffenen Werken ist im Adressaten-Bereich des UrhWissG zu verorten und daher ebenfalls zwingend umzusetzen. Angesichts dieser Bestimmungen ist eine Streichung der befristeten §§ 60a ff europarechtskonform nur teilweise möglich. Auch eine Beibehaltung der Befristung der Bestimmungen, zu deren Umsetzung der deutsche Gesetzgeber durch die DSM-Richtlinie verpflichtet wird, wäre rechtlich zumindest problematisch, wenn nicht bereits europarechtswidrig; spätestens die Realisierung der Folge der Befristung, nämlich die Streichung der befristeten Bestimmungen,  wäre europarechtswidrig.

Behielte der deutsche Gesetzgeber die bisher gültige Befristung bei, müsste bei der Anwendung der §§ 60a ff fortlaufend bedacht und geprüft werden, welcher Paragraph/Absatz/ Satz der für die Wissens- und Kultureinrichtungen so wichtigen Regelungen nun eigentlich befristet und welche aufgrund der zwingenden Vorgaben der DSM-Richtlinie unbefristet gelten. Ein solches Nebeneinander von befristeten und unbefristeten Normen zu den gleichen Sachverhalten zuzulassen, würde bei den Adressaten des Gesetzes Verwirrungen und Unklarheiten provozieren.

Darüber hinaus ist zu bedenken, dass bei einem in Folge der Befristung drohenden Wegfall der §§ 60a ff UrhG nicht etwa der Status quo ante wiederhergestellt würde. Vielmehr
wären für die privilegierten Wissenschaftler*innen und Einrichtungen urheberrechtliche Erlaubnisse weitgehend nicht mehr verfügbar. Dadurch würde der Allgemeinheit und der Wissenschaft erheblicher Schaden zugefügt. Im Hinblick auf die Wissenschaftsfreiheit wäre ein solcher Zustand zudem verfassungsrechtlich bedenklich.

Im Hinblick auf die Vorgaben aus dem europäischen Recht und die große Bedeutung für Wissenschaft und Lehre der gegenwärtig noch befristeten Normen im Urheberrecht ist die in den Referentenentwurf aufgenommene Entfristung aus Sicht der Allianz ein unverzichtbarer Bestandteil der Neuerungen im Urheberrecht.

Schranken im Kontext von Text und Data Mining §§ 44b, 60d, 60h, 69d, 87c UrhGE

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen begrüßt, dass durch die DSM-Richtlinie bzw. ihre Umsetzung in deutsches Recht mehr Rechtssicherheit für die Anwendung von Text und Data Mining geschaffen wird. Die Erlaubnis zur längerfristigen Speicherung der Korpora, die für ein Text und Data Mining zusammengestellt wurden, ist jedoch aus mehreren Gründen zu eng gefasst:

  1. Die Definition der Dauer der erlaubten Aufbewahrung wird an die irrtümliche Vorstellung geknüpft, ein Interesse an der Überprüfbarkeit der durch das Text und Data Mining erzeugten Ergebnisse bestehe nur vorübergehend.
  2. Gleiches gilt für die Vorstellung vom Abschluss eines Forschungsprozesses. Schon in der analogen Welt galt, dass Forschungsprozesse bzw. ihre Ergebnisse immer wieder aufgegriffen wurden bzw. für einen späteren Zugriff verfügbar sein mussten. Im Kontext des in der Forschung geltenden digitalen Wandels müssen nicht nur die Überprüfbarkeit, sondern auch die Nachnutzung von Forschungsergebnissen, insbesondere zur Verfolgung von nicht vorhersehbaren zukünftigen Forschungsinteressen als zentrale Paradigmen anerkannt und umgesetzt werden.
  3. Der impliziten Annahme, wonach das Korpus ein Konkurrenzprodukt zum vervielfältigten Originalmaterial sei, ist zu widersprechen. Wenn z. B. im Zuge der Normalisierung eines Korpus aus Texten sogenannte Stoppwörter gelöscht werden, sind die resultierenden Texte für eine Lektüre durch Menschen nicht mehr geeignet. Eine Konkurrenz des für Text- und Data-Mining aufbereiteten Korpus zu den Originalen besteht also nicht.
  4. Die durch § 60d Abs. 5 erlaubte „Aufbewahrung“ ermöglicht nicht die wissenschaftlich gebotene Überprüfbarkeit der Daten. Auch unter der Annahme, dass die Nutzung in der „Schrankenkette“ nach § 60e Abs.4 oder § 60c erlaubt ist, reicht die Nutzungserlaubnis hier nicht aus, weil in den genannten Erlaubnisnormen immer nur Teile vervielfältigt werden dürfen.

Digitale Lehre § 60a UrhG-E

Handlungsbedarf besteht insofern, als die Nutzung von Zeitungen und Kioskzeitschriften in § 60a Abs. 2 aufzunehmen sind. Nach wie vor sind hier nur wissenschaftliche Zeitschriften
erfasst. Für andere Quellen bestehen weiterhin die Beschränkungen des Abs. 1, insbesondere die gesetzte Grenze von 15 %. Lernende müssen für ihr Studium aber auch auf Quellen außerhalb der wissenschaftlichen Fachzeitschriften zugreifen können, weil sie nur so umfassendes Wissen über die studierten Inhalte erlangen können. Ebenfalls stellt
die in Abs. 1 gesetzte Grenze von 15 % eines veröffentlichten Werkes für die Nutzung von Unterricht und Lehre eine zu große Hürde für ein wissenschaftliches Studium dar. Für die Gesellschaft besteht in der Bereitstellung und Weitergabe einzelner Inhalte aus „Kioskzeitschriften“ und veröffentlichten Werken in Lehre und Studium ein Mehrwert, der an die Gesellschaft zurückfließt: Die Lernenden können später in ihrer wissenschaftlichen oder sonstigen beruflichen Tätigkeit auf das erarbeitete Wissen zurückgreifen und somit einen größeren Beitrag zu Innovationen erbringen, von denen die Gesellschaft profitiert.

Die Allianz sieht daher die Aufnahme der „Kioskzeitschriften“ in den 2. Absatz der Norm sowie die Erhöhung des prozentualen Betrages in Abs. 1 auf mindestens 30 % als erforderlich
an.

Vervielfältigungen zur Erhaltung des Kulturerbes

Die Allianz begrüßt es, dass – entsprechend Art. 6 der DSM-Richtlinie – § 60e Abs.6-E und § 60f Abs.3-E nun auch Einrichtungen des Kulturerbes, die kommerzielle Zwecke verfolgen, Vervielfältigungen zum Zweck der Erhaltung eines Werkes anfertigen dürfen. Das beseitigt die in der Praxis unlösbaren Abgrenzungsprobleme. Mit Blick auf die zunehmende Bedeutung, die Software für eine datenbasierte Forschung spielt, ist es erfreulich, dass davon richtlinienkonform nun auch ausdrücklich Computerprogramme (69d Abs. 2 S. 2 -E) und Datenbanken (87c Abs.1 S.1 Nr. 6-E) erfasst werden.

Kopienversand von Zeitungen und Zeitschriften, § 60e Abs. 5

Die Allianz möchte nochmals auf das Problem der Unzulässigkeit der Zusendung von Kopien von Zeitungen bzw. Kioskzeitschriften nach § 60e Abs. 5 hinweisen. Durch § 60e
Abs. 5 UrhG, der u. a. Zeitungen von der Erlaubnis zum Kopienversand der Bibliotheken ausnimmt, sind erhebliche Probleme für die (nicht nur historische) Forschung entstanden – und das ohne Not. Forschung an vergriffenen historischen Zeitungen und Pressezeitschriften ist derzeit tatsächlich nur noch mit Reisen zu Bibliotheken möglich, weil auch
vergriffene Zeitungen nur noch vor Ort konsultiert und kopiert werden dürfen. Es müssten daher mindestens § 60e Abs. 5 an § 60a Abs. 2 und § 60c Abs. 3 UrhG angepasst und um vergriffene Werke und Werke geringen Umfangs erweitert werden. Gerade bei der Nutzung „vergriffener“ Zeitungen, die also weder gedruckt noch in kommerziellen Online- Zeitungsarchiven verfügbar sind, besteht kein Konflikt mit aktuellen Verwertungsinteressen der Verlage. Die Allianz schlägt daher eine Regelung vor, bei der nach einer Frist von sechs Wochen, also nach Ablauf der aktuellen Berichterstattung zu einem Thema, Zeitungstexte wie andere Texte verwendet werden dürfen.

Bereitstellen von Auftragskopien nach § 60a und §60c innerhalb der Bildungseinrichtung

Im Moment ist strittig, ob die elektronische Bereitstellung (per E-Mail oder auf dem Fileserver) von Vervielfältigungen aus eigenem Bestand für eigene Angehörige einer Bildungseinrichtung unter § 60e Abs. 5 UrhG (Kopiendirektversand) fällt. In diesem Fall wäre eine zusätzliche Zahlung nach Einzelabrechnung an die VG Wort zu leisten. Aus Sicht der Allianz ist das nicht sachgerecht, weil der Bibliotheksbestand ja gerade von den Bibliotheken erworben wurde, um sie den jeweils eigenen Angehörigen zur Verfügung zu stellen. Die dafür notwendigen Vervielfältigungen und Übermittlungen sollten nicht über § 60a und § 60c hinausgehend zusätzlich vergolten werden.

Vergriffene Werke/kollektive Lizenzen

Die neuen Regelungen für die Nutzung nicht verfügbarer Werke sind zu begrüßen. Sie stellen die in der Praxis gut angenommenen Bestimmungen über die Nutzung vergriffener Werke auf eine neue, europarechtlich sichere Grundlage. Durch das Zusammenspiel von Lizenz auf der einen und einer Schrankenbestimmung auf der anderen Seite können mehr Werkarten als bisher genutzt werden. Wissenschaftliche Forschung und Lehre können von diesen erweiterten Zugangsmöglichkeiten profitieren.

Kritisch gesehen wird allerdings die Regelung, dass auf Grundlage des noch geltenden Rechts eingeräumte Lizenzen für die Nutzung vergriffener Werke, die immerhin in über 32.000 Fällen erteilt worden sind, nunmehr kraft Gesetzes erlöschen sollen. Zwar ist es möglich, die allermeisten dieser Werke auch nach neuem Recht zu nutzen und in das nunmehr vorgesehene Register einzutragen. Mit diesem Eintrag ist offenbar auch eine neue Lizenzerteilung verbunden, die vermutlich zu vergüten ist. Hier sollte Vorsorge getroffen werden, damit Kulturerbe-Einrichtungen neben dem unweigerlich entstehenden bürokratischen Aufwand nur einmal die Einräumung der Rechte abgelten müssen.

In der Praxis verwirrend dürfte die geplante Regelung der Schrankenvergütung für nicht verfügbare Werke sein. Da die Schrankenbestimmung nur greifen soll, wenn es keine repräsentative
Verwertungsgesellschaft gibt, die eine kollektive Lizenz erteilen könnte, ist fraglich, welche Verwertungsgesellschaft denn die angemessene Vergütung für die Schrankenbestimmung einziehen kann. Zwar wird in der Gesetzesbegründung richtigerweise darauf hingewiesen, dass unter Umständen keine Vergütung zu zahlen ist, wenn es nämlich keine für die fragliche Werknutzung zuständige Verwertungsgesellschaft gibt. In der Praxis wird hier jedoch eine große Unsicherheit herrschen, gerade bei den der Alltagskultur zuzurechnenden Werken. Um dieser Unsicherheit zu begegnen, sollte ein verbindlich zu nutzendes Register geschaffen werden, das – vergleichbar dem vom Deutschen Patent- und Markenamt geführten Verzeichnis für befugte Stellen nach § 45c UrhG – mit Blick auf die Vergütungen, die für die Nutzung nicht verfügbarer Werke anfallen, klar Auskunft darüber erteilt, welche Verwertungsgesellschaften für welche konkreten Werkarten zuständig sind. Wenn in diesem Register keine passende Verwertungsgesellschaft für eine geplante Werknutzung zu finden ist, besteht Klarheit darüber, dass keine Vergütung zu zahlen ist.

Die geplanten Regelungen über kollektive Lizenzen mit erweiterter Wirkung können aus Sicht von Wissenschaftseinrichtungen interessante Perspektiven eröffnen. Sie können in neuen und innovativen Bereichen, die von den gesetzlichen Schrankenbestimmungen nur unzureichend abgedeckt werden, Nutzungen ermöglichen, ohne auf ein sehr zeitraubendes Tätigwerden des Gesetzgebers zu warten. Allerdings machen solche Lizenzen Schrankenbestimmungen nicht überflüssig, da sie zum einen freiwillig sind und zum anderen allein gesetzliche Schranken bestimmte, für die wissenschaftliche Nutzung wichtige Mindeststandards absichern können. Inwieweit die neuen kollektiven Lizenzen das Wissenschaftsurheberrecht ergänzen und weiterentwickeln können, bleibt daher abzuwarten.

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