Allianz der Wissenschaftsorganisationen zur Partizipation in der Forschung
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler prägen durch ihre Forschung auf vielfältige Art und Weise den Alltag von Bürgerinnen und Bürgern. Die Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern an Forschungs- und Innovationsaktivitäten stellt umgekehrt einen Weg dar, wie gesellschaftliche Anliegen Eingang in die Forschung finden können – zum Mehrwert sowohl für die Wissenschaft als auch für die Gesellschaft. Partizipation in der Forschung kann dabei vielfältige Beteiligungsformen umfassen, die Bürgerinnen und Bürger aktiv einbinden.
Potenziale von Partizipation
Die Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern – als Einzelpersonen oder in Akteursgruppen – in der Forschung kann u. a.
- die Perspektivenvielfalt in der Forschung durch die Rückkoppelung mit gesellschaftlichen Fragen und Sichtweisen erhöhen,
- die Wissensbasis z. B. in Bezug auf Praxiswissen und im Bereich der Datenerhebung erweitern und damit auch zur Ausweitung von Datenbeständen beitragen,
- die gesellschaftliche Anschlussfähigkeit von Innovationsprozessen – von der Forschung und Entwicklung bis hin zur Nutzung – und damit ihre Chancen auf Diffusion und Anwendung stärken,
- Bürgerinnen und Bürgern einen fundierteren Einblick in die Forschung und ihre Prozesse ermöglichen,
- Neugier und Interesse von Bürgerinnen und Bürgern an Wissenschaft wecken und vertiefen und damit den Ausbau einer wissensbasierten Gesellschaft fördern sowie
- zu mehr Transparenz und Offenheit von Forschungsprozessen und dadurch zur Akzeptanz von Wissenschaft in der Gesellschaft beitragen.
Der Allianz der Wissenschaftsorganisationen ist es daher ein Anliegen, Partizipation in der Forschung zu ermöglichen und dort aktiv zu unterstützen, wo sie einen Mehrwert für Wissenschaft und Gesellschaft verspricht. Dem Handeln der Allianz liegen dabei folgende Prämissen zugrunde:
Prämissen für Partizipation
- Im Einklang mit der in Art. 5 Abs. 3 GG garantierten Freiheit von Wissenschaft und Forschung sollte die Entscheidung über Art und Umfang von Partizipation und die Berücksichtigung von Ergebnissen von Partizipationsprozessen im Forschungsprozess immer in der Verantwortung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liegen.
- Die Organisation von Partizipation ist aufwendig und bindet Ressourcen, die für andere Verwendungen in der Forschung dann nicht mehr zur Verfügung stehen. Partizipation in der Forschung sollte deshalb kein Selbstzweck sein und einen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Mehrwert versprechen, der den dafür nötigen Zeit- und Ressourcenaufwand vonseiten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie der Bürgerinnen und Bürger rechtfertigt. Vor diesem Hintergrund ist es auch wichtig, dass die Wirksamkeit getroffener Partizipationsmaßnahmen regelmäßig überprüft wird.
- Engagement von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für Partizipation sollte als allgemein anerkannte und gleichzeitig freiwillige Aktivität innerhalb von Forschung auch im wissenschaftlichen Reputationssystem verankert werden. Die Bewertung dieses Engagements in wissenschaftlichen Auswahlverfahren sollte anhand seines Beitrags zur Qualität der jeweiligen Projekte bzw. ihres Forschungsdesigns erfolgen.
- Partizipation in der Forschung sollte nicht in allen Forschungsfeldern und -projekten gleichermaßen erwartet werden. So eignen sich alltagsnahe und greifbare Themen wie z. B. die gesellschaftliche Vorsorgeforschung, kontroverse Anwendungsgebiete (z. B. die Nutzung von Atomenergie), forschungsethische Fragestellungen (z. B. zu Tierversuchen, Gentechnik) und die Optimierung von Produkten, Dienstleistungen und Verfahren oft eher für Partizipationsmaßnahmen als überwiegend alltags- und noch anwendungsferne, schwerer greifbare Themen wie z. B. mathematische Grundlagenforschung oder Quantencomputing.
Formen von Partizipation in der Forschung
Partizipation in der Forschung ist facettenreich und kann zu unterschiedlichen Rollen für Bürgerinnen und Bürger führen, deren Implikationen vor der Umsetzung von Partizipationsmaßnahmen mitbedacht werden müssen. Rollen für Bürgerinnen und Bürger lassen sich entlang der drei grundsätzlichen Stufen im Forschungsprozess – Planung, Durchführung und Dissemination – unterscheiden.
1. Bürgerinnen und Bürger in der Forschungsplanung
Forschungsfragen werden von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Regel auf Grundlage des bisherigen Forschungsstands selbst definiert. Dabei stehen die Forscherinnen und Forscher in enger Wechselwirkung mit Politik und Gesellschaft, die durch die Entwicklung von Forschungsagenden und Förderprogrammen den förderpolitischen Rahmen setzen.
Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen begrüßt es, wenn Wissenschaftsorganisationen zusätzliche Möglichkeiten für interessierte Bürgerinnen und Bürger anbieten, um ihre Ideen (z. B. in Form von Forschungsfragen) in die Forschung einzubringen. Dies kann sowohl über traditionelle Netzwerke und Plattformen als auch über Experimentierräume (z. B. Reallabore oder Maker Spaces) oder spezielle Austauschformate wie Bürgerdialoge und Ideenläufe geschehen.
Zentral dabei ist:
- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen sowohl in ihrer Entscheidung über eine Teilnahme an solchen Partizipationsformaten frei sein als auch in ihrer Entscheidung, Ideen (z. B. Forschungsfragen) aus diesen Partizipationsformaten aufzugreifen und in ihre Forschung zu integrieren.
- Im Falle einer Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern in wissenschaftliche Auswahl- und Entscheidungsprozesse sollte jederzeit gewährleistet sein, dass sich Bewertungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weiterhin primär an der Qualität ihrer wissenschaftlichen Leistungen orientieren.
- Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereiten Bürgerinnen und Bürger idealerweise durch Einführungsveranstaltungen und Workshops im Vorfeld auf eine geplante Partizipation in der Forschungsplanung vor, um ihnen den eventuell dafür notwendigen Wissensstand zu vermitteln (z. B. zu bereits durchgeführter Forschung in einem Forschungsfeld).
2. Bürgerinnen und Bürger in der Durchführung von Forschungsprojekten (Citizen Science)
Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an Forschungsprojekten kann von traditionellen Formen der Datenerhebung (z. B. Meldung von Vogel- und Insektenbeobachtung, Mitwirkung bei angeleiteten Probennahmen) bis hin zum Mitforschen und der Entwicklung eigener Konzepte innerhalb eines Forschungsprojekts reichen.
Die Mitglieder der Allianz der Wissenschaftsorganisationen unterstützen Citizen Science gemäß ihren unterschiedlichen Missionen auf vielfältige Art und Weise, fördern Citizen Science-Projekte und beteiligen sich am weiteren Ausbau von Citizen Science im deutschen Wissenschaftssystem im Rahmen des Weißbuchs „Citizen Science-Strategie 2030 für Deutschland“.
Zentral dabei ist:
- Die Art und Intensität der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern (z. B. Beteiligung an Datenerhebung, -analyse, Forschungsdesign etc.) sollte sich am jeweiligen Bedarf im Forschungsfeld und -projekt orientieren und deshalb von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern definiert werden.
- Die Einbindung von Citizen Science in wissenschaftliche Prozesse sollte als Bestandteil der Forschung gestärkt und das Angebot von Förderinstrumenten nachhaltig und strukturell im wissenschaftlichen Reputationssystem besser verankert werden.
- Wissenschaftliche Qualitätsstandards müssen jederzeit eingehalten werden. Die Allianzorganisationen unterstützen deshalb die Entwicklung einer guten Citizen Science-Praxis für die Forschung u. a. durch die Erstellung von Leitfäden, die Durchführung von Begleitforschung zur Wirkung von Citizen Science sowie durch Evaluationen und Fort- und Weiterbildungsprogramme.
3. Bürgerinnen und Bürger in der Forschungsdissemination
Viele Formate der Wissenschaftskommunikation fokussieren angesichts des enormen Wissenszuwachses zunächst auf die Vermittlung von Forschungsergebnissen. Darüber hinaus gibt es bereits zahlreiche Formate, die auf den Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern ausgerichtet sind. Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen hat sich in ihrem „10-Punkte-Plan zur Wissenschaftskommunikation“ (2020) zu einer stärkeren Berücksichtigung der Empfängerperspektive verpflichtet, um mit ihrer Kommunikation unmittelbarer an die jeweiligen Lebenswelten von Bürgerinnen und Bürgern anzuknüpfen.
Eine partizipative Wissenschaftskommunikation, d. h. eine Auseinandersetzung mit Wirkungen von Forschung und ihren Ergebnissen auf die Gesellschaft und eine Rückkoppelung mit gesellschaftlichen Perspektiven bei der Wissensvermittlung, kann das Verständnis von Bürgerinnen und Bürgern für und ihr Vertrauen in wissenschaftliche Verfahren und Prozesse erhöhen.
Zentral dabei ist:
- Eine partizipative Wissenschaftskommunikation sollte u. a. durch neue, experimentelle Formate eine kreative und selbstständige Auseinandersetzung mit Forschungsmethoden und Forschungsergebnissen erlauben, neue mediale Interaktionsangebote nutzen, wissenschaftskritische Vorbehalte berücksichtigen und auch emotional wirksame Dialogelemente erlauben.
- Forschungsergebnisse sollten klar und verständlich in der unmittelbaren Alltagsrealität von Bürgerinnen und Bürgern aufbereitet werden, um auch schwer erreichbare Zielgruppen und nicht nur bereits wissenschaftsaffine Gruppen einzubeziehen. Forschungsmuseen spielen dabei eine zentrale Rolle.