Stellungnahme 26. Mai 2020

10-Punkte-Plan zur Wissenschaftskommunikation

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Vereinbarung zur Entwicklung der Kommunikation der Allianz und ihrer Mitglieder

Präambel

Wissenschaft und Forschung verändern und prägen unseren Alltag und unsere Arbeitswelt. Sie haben Auswirkungen auf das Leben jedes Einzelnen und unsere Gesellschaft, unser politisches Handeln und unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Sie tragen dazu bei, dass wir gesellschaftliche, politische und kulturelle Veränderungen und Probleme verstehen und Lösungen entwickeln können. Sowohl die Ergebnisse der Wissenschaft als auch das Verständnis dafür, wie sie arbeitet und zu ihren Erkenntnissen kommt, gehören daher zum Fundament einer informierten und entscheidungsfähigen Gesellschaft. Dazu trägt wesentlich ein unabhängiger Wissenschaftsjournalismus bei. Wissenschaft wiederum ist auf gesellschaftliche Unterstützung angewiesen: Um frei und erkenntnisgeleitet arbeiten zu können, benötigt sie das Vertrauen in ihre Sachverständigkeit und Integrität sowie die sachgemäße Verwendung der ihr zur Verfügung gestellten Mittel.

Der grundlegende Wandel in der Medien- und Kommunikationslandschaft stellt die Wissenschaft heute vor neue Anforderungen und eröffnet gleichzeitig neue Möglichkeiten. Die Digitalisierung sorgt für einen schnellen und unmittelbaren Zugang zu wissenschaftlichen Informationen und bietet neue Chancen der Teilhabe, der Transparenz und des Austauschs. Wissenschaft kann von den Möglichkeiten der digitalen Kommunikation profitieren und Impulse erhalten. Gleichzeitig bringt der Wandel auch neue Herausforderungen mit sich: Die Zahl der Kommunikationskanäle hat sich multipliziert und Zielgruppen haben sich weiter ausdifferenziert. Die Kommunikation hat sich vor allem durch die Sozialen Medien verändert: Sie wird unübersichtlicher, Fehlinformationen verbreiten sich schneller und der Umgangston wird gelegentlich rauer.

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen sieht es als gemeinschaftliche Aufgabe der Wissenschaft und ihrer Institutionen an, den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft unter diesen neuen Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln und die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Das von der Allianz der Wissenschaftsorganisationen, dem Stifterverband für die deutsche Wissenschaft und der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen vor 20 Jahren verabschiedete PUSH-Memorandum hat viel bewirkt: Die Wissenschaftskommunikation hat sich als Ausbildungs- und Arbeitsfeld etabliert und professionalisiert. Neue Formate zur Vermittlung und zum Austausch wurden entwickelt. Einige Auszeichnungen und Fördermöglichkeiten unterstützen heute die Wissenschaftskommunikation. Doch noch sind nicht alle damals formulierten Ziele erreicht. Kommunikation von Forschenden mit einem nichtwissenschaftlichen Publikum ist noch immer nicht selbstverständlicher Bestandteil der wissenschaftlichen Arbeit, denn hierfür wurden kaum Anreize in den Institutionen geschaffen.

Es ist daher Zeit, dass die Allianz der Wissenschaftsorganisationen Antworten auf neue wie auf weiterhin bestehende Herausforderungen gibt. Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen sieht vier Handlungsfelder, in denen sie sich verstärkt engagieren will und für die sie Handlungsempfehlungen formuliert. Die Empfehlungen verfolgen das Ziel, die Bedeutung der Wissenschaft in der Gesellschaft herauszustellen, gesellschaftliche Erwartungen und Perspektiven auf die Wissenschaft zu berücksichtigen, die Kommunikationskompetenz von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu stärken und die Vernetzung der verschiedenen Akteure in der Wissenschaftskommunikation zu fördern:

Handlungsfelder

Handlungsfeld 1: Gesellschaftliche Relevanz berücksichtigen

Wachsende Skepsis gegenüber kulturellen und politischen Institutionen und auch gegenüber der Wissenschaft gefährdet das Vertrauen in die Wissenschaft und ihre Erkenntnisprozesse. Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen sieht sich und alle Wissenschaftsorganisationen daher in der Pflicht, noch stärker auf Fragen einzugehen, die sich aus Erkenntnisfortschritten und der Entwicklung der Wissenschaft ergeben. Es ist notwendig, zukünftig vermehrt solche Themen und Aspekte in der Kommunikation aufzugreifen und in den Vordergrund zu stellen, die für die Gesellschaft von unmittelbarer Bedeutung sind oder zu denen es öffentliche Debatten gibt. Dazu muss die Wissenschaft ihre Perspektive über rein wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Fragen hinaus erweitern.

Handlungsfeld 2: Empfängerperspektive einnehmen

Die „breite Öffentlichkeit“ gibt es nicht. Der digitale Wandel der Medien- und Kommunikationslandschaft macht die Ausdifferenzierung von Zielgruppen deutlich sichtbar. Um die verschiedenen Teilöffentlichkeiten besser zu erreichen, müssen ihre Erwartungen antizipiert und ihre Anliegen, Meinungen und Interessen angehört werden. Die Einbindung in entsprechende Kommunikationsformate und die Ansprache von Emotionen unterstützen dabei, dass Wissenschaft authentischer und vertrauenswürdiger wahrgenommen wird. Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen will Wissenschaft noch breiter in der Gesellschaft verankern, um Falschdarstellungen und Mythen zu Wissenschaft den Boden zu entziehen.

Handlungsfeld 3: Kommunikationskompetenz stärken

Die Kommunikation über die eigene Forschung und über gewonnene Erkenntnisse muss Teil der Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sein. Sie sind wichtige Botschafterinnen und Botschafter, um Wissenschaft und ihre Ergebnisse in die Gesellschaft zu tragen. Sie können am besten zeigen, wie Wissenschaft funktioniert, warum Wissenschaftsfreiheit wichtig für unsere Demokratie ist oder was wissenschaftliche Erkenntnisse von Meinungen unterscheidet. Für diese Aufgabe erhalten sie jedoch noch nicht überall die notwendigen Anreize und Qualifizierungsangebote. Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen sieht Kommunikation nicht als „Add-on“, gar als nachteilig für die Karriere, sondern – im Gegenteil – als integralen Bestandteil der Wissenschaft, der Wertschätzung verdient. Eine entsprechende Kommunikationskultur muss in jeder Wissenschaftseinrichtung etabliert werden.

Handlungsfeld 4: Kooperation und Vernetzung fördern

Partnerschaften zwischen wissenschaftlichen Einrichtungen sowie zwischen Wissenschaft und anderen nationalen und internationalen Akteuren aus Zivilgesellschaft, Medien, Kultur, Wirtschaft und Politik sind für eine strategisch angelegte Wissenschaftskommunikation wichtig und wirken auch in die Wissenschaft hinein. Insgesamt sind die Potenziale der Vernetzung bei Weitem nicht ausgeschöpft, zumal die Digitalisierung neue Optionen bietet. Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen will synergetische Potenziale von Partnerschaften künftig stärker nutzen.

Selbstverpflichtung und Handlungsempfehlungen

Im Folgenden formuliert die Allianz der Wissenschaftsorganisationen für die Wissenschaft, ihre Akteure und Institutionen, einschließlich der Einrichtungen und Partner der Wissenschaftskommunikation, Handlungsempfehlungen, zu denen sie sich auch selbst verpflichtet.

  1. Die Mitglieder der Allianz beziehen vermehrt Stellung zu Fragen, welche die Gesellschaft bewegen. Hierzu identifizieren sie gesellschaftlich relevante Wissenschaftsthemen, beispielsweise Fragen der Gentechnik, des Impfens, des Klimawandels oder der Künstlichen Intelligenz, und bringen sich mit ihren Positionen in die öffentliche Diskussion ein.
  2. Die Mitglieder der Allianz machen noch stärker deutlich, wie sich der wissenschaftliche Erkenntnisprozess vollzieht, welche Rolle die Wissenschaftsfreiheit spielt, was Vorläufigkeit und Vielstimmigkeit in der Wissenschaft besagen und welche Menschen hinter Wissenschaft und Forschung stehen. Damit werben sie für mehr Verständnis für die Prozesse, Bedingungen, Notwendigkeiten und Grenzen von Wissenschaft.
  3. Die Mitglieder der Allianz werden, auch angesichts eines enormen Wettbewerbs um Aufmerksamkeit, die Empfängerperspektive stärker berücksichtigen und mit ihrer Kommunikation an die jeweiligen Lebenswelten anknüpfen. Sie werden Formate und Instrumente entsprechend weiterentwickeln und umsetzen.
  4. Die Mitglieder der Allianz werden auf eine stärkere Präsenz von Wissenschaft in audiovisuellen Medien und fiktionalen Formaten setzen, um ein größeres Publikum zu erreichen. Darüber hinaus werden sie sich um eine gemeinsame Vertretung in Rundfunk- und Medienräten bemühen, um in diesen Gremien das Bewusstsein für wissenschaftliche Inhalte in den Programmen zu stärken.
  5. Die Mitglieder der Allianz unterstützen das individuelle Engagement von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den klassischen wie in den Sozialen Medien. Sie werden dies stärker fördern und in ihre eigene Wissenschaftskommunikation einbinden.
  6. Die Mitglieder der Allianz werden darauf hinwirken, dass die Kommunikation von Wissenschaftsthemen bereits in der akademischen Ausbildung und auf allen Karrierestufen der wissenschaftlichen Laufbahn künftig als festen Aus- und Weiterbildungsbestandteil für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verankert wird.
  7. Die Mitglieder der Allianz werden zeitliche und finanzielle Ressourcen schaffen, damit Forscherinnen und Forscher Kommunikationsaufgaben in ihren Wissenschaftsalltag integrieren können. Sie empfehlen dazu Anreiz- und Belohnungssysteme für Kommunikationsleistungen innerhalb der Einrichtungen.
  8. Die Mitglieder der Allianz setzen sich für eine dauerhafte finanzielle Absicherung von Kommunikationsaktivitäten in den Institutionen ein, um eine nachhaltige Wissenschaftskommunikation zu gewährleisten.
  9. Die Mitglieder der Allianz werden den regelmäßigen Austausch untereinander verstärken, um Themen frühzeitiger zu identifizieren und gemeinsame Kommunikationsaktivitäten umzusetzen.
  10. Die Mitglieder der Allianz intensivieren den nationalen und internationalen Austausch zu Forschung und Best Practice in der Wissenschaftskommunikation. Darüber hinaus beziehen sie internationale Entwicklungen und Perspektiven in ihre Kommunikation ein.

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