Stellungnahme 9. Februar 2018

Allianz der Wissenschaftsorganisationen sieht offenen Zugang zu Digitalen Sequenzinformationen gefährdet

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Stellungnahme der Allianz der Wissenschaftsorganisationen zur Diskussion, die Nutzung digitaler Sequenzinformationen genetischer Ressourcen zukünftig im Rahmen des Nagoya-Protokolls und der Konvention über die biologische Vielfalt einzuschränken

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen warnt eindringlich vor weitreichenden Konsequenzen für die Umwelt- und Lebenswissenschaften sowie die Biodiversitätsforschung, sollte zukünftig auch die Nutzung von digitalen Sequenzinformationen (DSI)1 genetischer Ressourcen2 den Regelungen des Nagoya-Protokolls (NP) und der Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) unterliegen. Insbesondere würde die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit in diesen Bereichen erheblich behindert werden. Die bisher unternommenen gemeinsamen Anstrengungen für mehr Transparenz und Offenheit der Wissenschaft (z.B. European Open Science Cloud Declaration3) und für den grundsätzlich offenen Zugang zu Daten aus der öffentlich geförderten Forschung würden zumindest teilweise zunichte gemacht.4

Die Allianz begrüßt grundsätzlich das NP, welches 2014 in Kraft getreten ist. Ein zentrales Anliegen der Allianz ist es, dass die internationale Zusammenarbeit generell – die Vertragsparteien eingeschlossen – nach den Regeln der guten wissenschaftlichen Praxis erfolgt. Darüber hinaus haben sich fachbezogene Code of Conducts der einschlägigen Dachverbände bewährt.5

Bereits 2013 hat die Allianz jedoch in einer gemeinsamen Stellungnahme zum damaligen Gesetzgebungsverfahren der EU auf die Probleme bei der Umsetzung des NP für die nicht-kommerzielle Forschung hingewiesen6. Erfahrungen zeigen, dass bereits heute die internationale Zusammenarbeit zur Erforschung der Biodiversität, der Untersuchung von Krankheitserregern und -vektoren in Mensch und Tier sowie von Pflanzenkrankheiten stark behindert werden. Zu den Gründen zählen zeitliche Verzögerungen aufgrund bürokratischer Hemmnisse, Verweigerung der Freigabe von Proben durch die jeweiligen Genehmigungsbehörden sowie bestehende Rechtsunsicherheiten.

Weitreichende negative Folgen für die internationale umwelt- und lebenswissenschaftliche Forschung

Eine Einschränkung des ungehinderten Zugangs zu DSI würde unweigerlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung des wissenschaftlichen Fortschritts in den Natur- und Lebenswissenschaften führen, da der aktuelle massive Erkenntniszuwachs hier zunehmend von der Erhebung und Auswertung großer digitaler Datensätze abhängt. Konkret sind folgende Auswirkungen zu befürchten:

  • Digitale Datensätze für nachfolgende Analysen dürften nur noch nach vorheriger Zustimmung durch das Ursprungsland und mit Kenntnis der nationalen Vollzugsbehörde genutzt werden. Die Zustimmung müsste dabei einzeln für jede konkrete digitale Sequenzinformation eingeholt werden. Dies würde beispielsweise für die Evolutionsbiologie, die Stammbäume aus Tausenden von Sequenzen errechnet, oder für die Wirkstoffforschung, die große Datensätze von DNA-Sequenzen analysiert, eine unüberwindbare Hürde darstellen. Bei neu auftretenden Krankheitserregern wäre eine schnelle Verfolgung globaler Ausbrüche im Rahmen der Infektionsforschung nicht mehr möglich
  • Publikationen, die die Primärdaten bei Einreichung der Manuskripte nicht in die einschlägigen Datenbanken hochladen, werden durch die Fachjournale nicht akzeptiert. Nutzungsbeschränkungen könnten zum einen die Publikationen von Forschungsergebnissen verhindern. Zum anderen wäre die schnelle Replizierbarkeit und Validierung von wissen-schaftlichen Ergebnissen gefährdet. Die betroffenen Wissenschaftsdisziplinen sowie jeder Wissenschaftler und jede Wissenschaftlerin wäre in der Ausübung der Forschungstätigkeit damit stark eingeschränkt. In besonderer Weise wären Open Access Zeitschriften und Repositorien betroffen.
  • Die Forschung an den genetischen Ressourcen der Ursprungsländer selbst würde beeinträchtigt, da sie von der Open Access Praxis nicht mehr profitieren können. Es ist zu befürchten, dass internationale Forschung zukünftig vorwiegend in Ländern erfolgt, die das NP nicht ratifiziert haben.
  • Für den Betrieb und die Nutzung digitaler Datenbanken und global vernetzter Forschungs- und Informationsinfrastrukturen entstünden erhebliche zusätzliche Kosten sowie große technische Herausforderungen. Es wäre in der Praxis kaum umsetzbar, der Vielfalt und den spezifischen Anforderungen jedes einzelnen Vertragsstaates in Bezug auf Sequenzdatenbanken gerecht zu werden.

Die Auswirkungen der vorgenannten Punkte würden nicht nur den wissenschaftlichen Fortschritt beeinträchtigen, sondern auch den Zielen der CBD zu-widerlaufen. Die Vertragsstaaten sollten von Artikel 8a des NP Gebrauch machen und Bedingungen schaffen, die einen erleichterten Zugang zu DSI für die nicht-kommerzielle Forschung ermöglichen.

Klare und erleichterte Rahmenbedingungen für den offenen Zugang zu Digitalen Sequenzinformationen

Die Allianz fordert aus den vorgenannten Gründen die an der Entscheidung beteiligten Ressorts in Deutschland und der Europäischen Union sowie das den Beratungsprozess koordinierende Sekretariat der CBD auf, das Nagoya-Protokoll nicht auf die Nutzung der digitalen Sequenzinformationen zu erweitern. Die nicht-kommerzielle Forschung für die Erfassung und den Schutz der Biodiversität sowie für die Gesundheit des Menschen, seiner Ernährung und die Sicherung seiner Lebensgrundlagen muss an den wissenschaftlichen Einrichtungen weiterhin sichergestellt werden, ohne dass faktisch unüberwindbare Hürden in der internationalen Zusammenarbeit errichtet wer-den.

  1. Der Begriff „digitale Sequenzinformationen“ (DSI) wurde durch die politischen Diskussionen in der Convention on Biological Diversity (CBD) geprägt und wird nicht einheitlich verwendet. Vereinfacht dargestellt bezeichnet DSI alle Informationen, die auf molekularbiologischen und biochemischen Methoden basieren.
  2. Laut NP bedeutet der Begriff genetische Ressourcen „jedes Material pflanzlichen, tierischen, mikrobiellen oder sonstigen Ursprungs, das funktionale Erbeinheiten enthält“. Davon sind also auch beispielsweise Wasser- und Erdproben betroffen, wobei humangenetisches Material und genetische Ressourcen, für die spezielle internationale ABS-Regelungen gelten, ausgeschlossen sind.
  3. https://ec.europa.eu/research/openscience/index.cfm?pg=open-science-cloud (26.10.2017)
  4. Nähere Informationen zur CBD, zum NP und zum DSI-Prozess finden Sie am Ende dieser Stellungnahme.
  5. z.B. Code of Conduct des Consortium of European Taxonomic Facilities (CETAF)
  6. Zugang der Forschung zu genetischen Ressourcen sichern! Stellungnahme der Allianz der Wissenschaftsorganisationen vom 23.5.2013.

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