Stellungnahme 13. Juli 2017

Exzellente Wissenschaft braucht familiengerechte Chancen

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Präambel
Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und die Gewinnung der besten Köpfe ist seit jeher ein zentrales Anliegen der Allianz der Wissenschaftsorganisationen in Deutschland. Die Gewinnung und das Halten von herausragenden Forscherinnern und Forschern sind ein Schlüssel für den Erfolg des deutschen Wissenschaftssystems.

In einer hochkompetitiven Arbeitswelt können die besten Talente heute wählen. Bei dieser Wahl spielen moderne Lebensentwürfe sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine entscheidende Rolle. Diesen Wettbewerbsaspekt haben viele Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten in anderen Ländern erkannt. So sind im internationalen Vergleich die Rahmenbedingungen im Bereich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oft besser. Wichtige Weichenstellungen für eine wissenschaftliche Karriere erfolgen im Lebensverlauf oft zeitlich parallel zur Familiengründungsphase. Damit die Entscheidung für Familie und Wissenschaft kein „entweder/oder“ mehr ist, brauchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland stärker als bislang attraktive Angebote, um Familienplanung, Elternschaft und wissenschaftliche Karriere miteinander zu vereinbaren. Andernfalls verlassen vielversprechende Talente vorzeitig die akademische Wissenschaft.

In den vergangenen Jahren haben die Mitglieder der Allianz der Wissenschaftsorganisationen ihre Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie erheblich ausgebaut und werden diese auch weiter forcieren. So wurden mit Unterstützung der Zuwendungsgeber bereits wichtige Fragen gelöst. Dennoch erschweren das Zuwendungsrecht wie auch unterschiedliche Regelwerke auf Bundes- und Länderebene die Etablierung von zielgerichteten Maßnahmen zur tatsächlichen Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie.

Wissenschaft braucht flexible Modelle und Unterstützungsangebote, um den individuellen Bedürfnissen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit Familien gerecht zu werden. Daher fordert die Allianz der Wissenschaftsorganisationen konkrete (zuwendungs-)rechtliche Nachbesserungen bei bestehenden Regelungen. Nur so können auch in Zukunft hochqualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im nationalen Wettbewerb mit Unternehmen und im internationalen Wettbewerb der Spitzenuniversitäten und Forschungseinrichtungen für den Forschungsstandort Deutschland gewonnen und gehalten werden.
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat einen hohen Stellenwert. Nicht zuletzt bereichern vielfältige Perspektiven und Lebensrealitäten auch die eigene Wahrnehmungsperspektive. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen ihren Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und wissenschaftlicher Berufstätigkeit in Deutschland nicht mehr rechtfertigen müssen sondern verwirklichen.1

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen fordert, für die Belange der Wissenschaft durchgängig, umfassend und flexibel Kinderbetreuung zu ermöglichen.

Im Wissenschaftsfeld tätige Personen benötigen ein Höchstmaß an flexibler Kinderbetreuung, und das oft schon für Kinder deutlich unter einem Jahr bis hin zu einer verlässlichen Betreuung schulpflichtiger Kinder. Dabei zeigt sich, dass es insbesondere tarifbeschäftigten Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern an finanziellen Ressourcen für eine kostspielige flexible Kinderbetreuung fehlt.

Angesichts der nicht hinreichend ausgebauten Kinderbetreuungsinfrastruktur in Deutschland haben die deutschen Wissenschaftseinrichtungen einen erheblichen Wettbewerbsnachteil – insbesondere gegenüber Unternehmen. So bieten diese umfassende Maßnahmen zur Verbesserung der Betreuungssituation ihrer Beschäftigten an.

Die Mitglieder der Allianz der Wissenschaftsorganisationen handeln gemäß den Vorgaben des Zuwendungsrechts. Daher investieren Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen bei der Kinderbetreuung zwar in unterstützende Infrastruktur. Sie dürfen aber aus institutionellen Mitteln keine direkten Zahlungen an Beschäftigte leisten bzw. individuelle Kinderbetreuungsmaßnahmen von Beschäftigten erstatten, mit denen diese individuelle und flexible Kinderbetreuungsunterstützung finanzieren könnten. Dies gilt auch für Beschäftigte an wissenschaftlichen Einrichtungen, die aus Drittmitteln finanziert werden.

Für einen international vergleichbaren Standard bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie fordert die Allianz der Wissenschaftsorganisationen daher von den Zuwendungsgebern dringend Nachbesserungen. Dazu gehört vorrangig auch die Möglichkeit, direkte Zuschüsse zum Zwecke der Kinderbetreuung an im Wissenschaftsfeld tätige Personen auszahlen zu dürfen. Das ist insbesondere dort nötig, wo die Regelbetreuung nicht greift, wo dienstliche Erfordernisse eine Betreuung zu Randzeiten oder eine flexible Nutzung von Betreuungsmöglichkeiten bedingen. Nur so ist eine zügige, flexible und niedrigschwellige Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich.

Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen fordert eine Vereinheitlichung und – wo nötig – Erweiterung der Reisekosten- und Gleichstellungsgesetze. Bei wissenschaftlich relevanten Dienstreisen sollten zusätzliche Betreuungs- und Reisekosten für Kinder sowie pflegebedürftige Angehöriger deutschlandweit gleichermaßen erstattet werden können.

Die Teilnahme an (internationalen) Konferenzen, Fortbildungen und Forschungsreisen ist essentieller Bestandteil der Wissenschaftskarriere und stellt eine Besonderheit der Wissenschaft dar, die in manch anderem Berufsbild so nicht vorliegt. Für eben diese Reisen und längeren Abwesenheiten werden Vereinbarkeitsfragen noch einmal in ganz anderer Weise virulent, insbesondere wenn beide Eltern forschen und lehren.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kindern benötigen daher für ihre häufige Reisetätigkeit sowie vorübergehende externe Aufenthalte und Gastprofessuren zusätzliche und flexible Kinderbetreuung. Das kann die Betreuung am Heimatort etwa zu Randzeiten wie abends oder an Wochenenden umfassen. Das kann aber ebenso auch, wo notwendig, Betreuungsbedarfe am auswärtigen Dienstort mit sich bringen, etwa bei der Mitnahme von Kindern und Betreuungspersonen bei längeren Forschungsaufenthalten. Darüber hinaus sind hier zunehmend auch weitere Care-Arrangements für pflegebedürftige Angehörige am Heimatort nötig.

Die bestehenden gesetzlichen Regelungen zur Erstattung von Betreuungs- und Reisekosten sind gegenwärtig in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Hinzu kommt, dass diese Regelungen vielfach nicht umfassend genug sind, um die tatsächlichen Bedarfe zu decken und den Realitäten der Wissenschaft zu entsprechen.
Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen fordert daher die Zuwendungsgeber auf, die Regelungen in allen Bundesländern analog § 10 BGleiG anzupassen und diese Regelungen sodann verbindlich festzulegen.

Abschließend mahnt die Allianz der Wissenschaftsorganisationen im gesamtgesellschaftlichen Interesse Änderungen des Einkommenssteuergesetzes an.

Zuschüsse zu Betreuungskosten von Kindern sollten grundsätzlich steuerfrei sein, unabhängig vom Kindesalter, vom Schuleintritt oder vom Vorliegen einer Notfallsituation.

  1. Im Zuge der Erarbeitung dieser Stellungnahme fand am 16. Februar 2017 ein Hearing mit Mitgliedern der Jungen Akademie zu Fragen der Vereinbarkeit von Forschung, Lehre und Familie statt.

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